Der Begleitprozess Asse II
Gültig bis Januar 2018
Nicht nur in Deutschland, sondern wohl weltweit einmalig ist der „Begleitprozess Asse II“: Zwar stehen die staatlichen Stellen in der Verantwortung, das manchmal als „größter Umweltskandal in der Geschichte Deutschlands“ bezeichnete Atommülllager durch Rückholung der strahlenden Abfälle zu sanieren. Jedoch ist die Bevölkerung der betroffenen Region durch die Asse-2-Begleitgruppe („a2b“) intensiv an diesem Prozess beteiligt. Die ehrenamtlich arbeitende Gruppe, die vom Bundesumweltministerium (BMUB) Finanzmittel für ein Sekretariat und Öffentlichkeitsarbeit erhält, besteht nicht nur aus
- Vertretern des gewählten Kreistages, sondern auch aus
- Bürgermeistern/-innen der Anrainerkommunen der Asse,
- Vertretern der Umweltverbände sowie
- Vertretern aus den Bürgerinitiativen
Das bedeutet, dass über den A2K auch die kritische Zivilgesellschaft (Bürgerinitiativen, Parteigliederungen, engagierte Einzelpersonen) direkt in den Begleitprozess eingebunden ist.
Einmalig ist wohl auch die ebenfalls vom BMUB finanzierte unabhängige wissenschaftliche Unterstützung der Asse-2-Begleitgruppe durch die Arbeitsgruppe Optionen – Rückholung (AGO). Auf diese Weise ist es möglich, im Diskurs zwischen staatlichen Stellen und der regionalen Interessenvertretung nach den besten Lösungen zu suchen.
Die Geschichte des Begleitprozesses
Der Asse-II-Begleitprozess steht unter intensiver Beobachtung durch die Endlagersuchkommission des Bundestages, denn die Erkenntnisse sollen auch in der Gestaltung des Suchprozesses für ein Endlager für hochradioaktive Stoffe Niederschlag finden. Es besteht also ein doppeltes gesamtgesellschaftliches Interesse an einem Erfolg des Asse-II-Begleitprozesses – für die Sanierung der Asse selbst, und auch darüber hinaus für die gesamte deutsche Atommüllpolitik.
In den folgenden Abschnitten werden anhand einer kleinen Historie die Hintergründe des Begleitprozesses beschrieben.
Das Atommülllager Asse II
Die Schachtanlage Asse war ehemals ein Salzbergwerk, in dem Kalisalz (1909 bis 1925) und Steinsalz (1916 bis 1964) abgebaut wurden. Am 31.03.1964 wurde die Salzförderung eingestellt. Der stillgelegte Schacht wurde 1965 vom Bund gekauft und als „Versuchsendlager“ zur Einlagerung radioaktiven Abfalls genutzt.
Von 1967 bis 1978 wurden insgesamt ca. 125.000 Fässer und Gebinde mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen in der Asse II eingelagert. Die ca. 1.300 Fässer mit mittelradioaktivem Abfall sind in der 511-m-Sohle gelagert, die schwachradioaktiven Abfälle befinden sich auf der 725- und 750-m-Sohle. Die Einlagerung der radioaktiven Abfälle wurde aufgrund der Novellierung des Atomgesetzes 1978 eingestellt. In der Zeit von 1978 – 1992 fanden in der Anlage verschiedene Forschungsarbeiten mit den radioaktiven Abfällen statt.
Das Inventar des Bergwerks ist nicht vollständig dokumentiert und nicht mehr genau zu ermitteln, was die Rückholung der Abfälle massiv erschwert.
Ab 1992 wurde die Schließung der Anlage vorbereitet, wozu nahezu alle Hohlräume der Südflanke verfüllt wurden.
Das Stilllegungskonzept für die zu jener Zeit nicht dem Atomrecht, sondern dem Bergrecht unterliegenden Schachtanlage wurde vom damaligen Betreiber Helmholtz Zentrum München der Genehmigungsbehörde (Niedersächsisches Ministerium für Umwelt- und Klimaschutz - NMU) zur Prüfung vorgelegt und vor allem wegen des fehlenden Langzeitsicherheitsnachweises zurückgewiesen.
Eine Region wehrt sich
Von Beginn hatte es – wenn auch über lange Zeit eher vereinzelte – Stimmen und Aktivitäten gegen den sorglosen Umgang mit radioaktivem Müll in Asse II gegeben. Der Widerstand nahm ungeahnte Ausmaße an, als die Schließung des Atommülllagers vorbereitet wurde und eine schleichende Verseuchung der Region insbesondere über Grundwasser zu befürchten war. Außerdem stellte sich heraus, dass es auch rechtswidrigen Umgang mit Radioaktivität gab.
In der Folge verabschiedete der Wolfenbütteler Kreistag in seiner Sitzung am 20.03.2006 einstimmig eine Resolution zur Schließung der Schachtanlage Asse II in Remlingen:
- Ziel ist, die Belastungen für die Bevölkerung und die Umwelt zu minimieren. Durch eine unverzügliche Erarbeitung eines Optionsvergleichs und eine zügige Erstellung eines Abschlussbetriebsplanes sowie die Beschränkung der vorab durchzuführenden Maßnahmen auf das notwendige Maß ist sicherzustellen, dass vor der Genehmigung des Abschlussbetriebsplanes keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden. Es ist gutachterlich umfassend zu untersuchen, wie und wo die in der Asse gelagerten radioaktiven Abfälle langfristig sicher zu entsorgen sind.
- In verschiedenen Veranstaltungen ist von allen Beteiligten zugesagt worden, dass das bergrechtliche Genehmigungsverfahren für den Abschlussbetriebsplan auf freiwilliger Basis so ergänzt werden soll, dass es materiell einem atomrechtlichen Verfahren entspricht. Diese Zusage ist vor Beginn des Verfahrens zwischen allen Beteiligten schriftlich zu vereinbaren, andernfalls wird gefordert, die Schließung der Asse II nach Atomrecht durchzuführen.
- Es ist zu gewährleisten, dass langfristig alle relevanten Parameter im Bereich der Schachtanlage sowie in der Umgebung gemessen werden, um die chemischen und physikalischen Veränderungsprozesse rechtzeitig erfassen zu können.
- Die Bundesrepublik Deutschland wird aufgefordert, das Endlager auf Dauer zu betreiben und auf der Schachtanlage Asse II eine Informationsstelle einzurichten, um die Bevölkerung auch nach der Schließung des Bergwerkes über die Einlagerung von radioaktiven Stoffen zu informieren.
Parallel zu den Aktivitäten der regionalen Politik klagte eine Anwohnerin der Asse auf Beteiligung an den Schließungsplänen, nachdem der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des niedersächsischen Landtages einer solchen Klage gute Chancen bescheinigt hatte.
Eine neue Asse-Politik
Vor dem Hintergrund des regionalen Widerstandes verständigten sich das (bis zu diesem Zeitpunkt für das „Versuchsendlager“ noch immer zuständige) Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und das Niedersächsische Ministerium für Umwelt- und Klimaschutz im November 2007 auf neue Rahmenbedingungen für Asse II und gaben die neue Linie in einer gemeinsamen Presseerklärung bekannt.
Als übergeordnetes Ziel wurde festgelegt, weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitssituation der Asse zu prüfen und bei Bedarf durchzuführen. Die – in der Region schon lange geforderte – Prüfung von ergänzenden und alternativen Stilllegungsmaßnahmen (z. B. die Rückholung) wurde in den Mittelpunkt gestellt.
Zum anderen hatte die gemeinsame Erklärung zum Inhalt hat, dass eine Begleitgruppe bestehend aus Vertretern der regionalen Bevölkerung, den Bürgermeistern der betroffenen Samtgemeinden und der Stadt Wolfenbüttel, der Kreistagsfraktionen, der Umweltverbände, Bürgerinitiativen und Vertretern des Landkreises Wolfenbüttel, gegründet wird.
Betreiberwechsel und Änderung der Rechtsgrundlagen
Am 01.01.2009 löste das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) das Helmholtz Zentrum München in der Funktion des Betreibers der Schachtanlage Asse ab. Es ist seitdem berg- und atomrechtlich für die Schachtanlage Asse II verantwortlich. Für die Betriebsführung wurde als 100-prozentige Tochter des BfS die Asse GmbH gegründet. Sie übernahm die bisher auf der Schachtanlage Asse Beschäftigten.
Am 04.09.2009 einigten sich die Ministerien (BMU, BMBF und NMU) darauf, die Schachtanlage Asse II zukünftig verfahrensrechtlich wie ein Endlager zu behandeln. Gleichzeitig wurde im Atomgesetz (§ 9) festgelegt, die Anlage unverzüglich stillzulegen. Für die Stilllegung ist – anders zuvor unter den Bedingungen des Bergrechts – ein Planfeststellungsverfahren notwendig.
Der Optionenvergleich
In einem – regional seit Langem geforderten – Optionenvergleich untersuchte das BfS drei Varianten:
- die Umlagerung des Atommülls innerhalb des Bergwerks,
- die Vollverfüllung unter Belassung des Atommülls im Bergwerk sowie
- die Rückholung der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse II.
Im Januar 2010 stellte das BfS die Ergebnisse des Optionenvergleichs vor: Die Rückholung wurde als einzig vertretbare Option identifiziert, denn nur bei ihr kann – nach damaligem und heutigem Kenntnisstand – ein Langzeitsicherheitsnachweis erbracht werden. Allerdings war von Beginn an allen Beteiligten klar, dass die Rückholung aufwändig ist und nur unter der Bedingung gelingen kann, dass die Entwicklung der Laugenzutritte sie zulässt und das Bergwerk nicht absäuft.
Das Beschleunigungsgesetz „Lex Asse“
Unter intensiver Zusammenarbeit von a2b, BfS und den Obfrauen des Bundestags-Umweltausschusses wurde ein Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung entwickelt. In ihm sind u.a. eine gesetzliche Rechtfertigung für die aus der Rückholung entstehenden Belastungen, Verfahrensbeschleunigungen bei Genehmigungsverfahren sowie die Pflicht zur Offenlegung aller relevanten Behördenunterlagen enthalten. Das Gesetz wurde im breiten Konsens aller Fraktionen des Deutschen Bundestages erarbeitet und beschlossen.
Die Lex Asse trat am 25.04.2013 in Form einer Änderung des Atomgesetzes (§ 57b) in Kraft.